Allen, die mehr über China und seine Kultur lernen möchten, empfiehlt Eva Lüdi Kong den Roman „Die Reise in den Westen“. Ihr Rat zählt viel, denn sie hat mehr als zehn Jahre an der ersten vollständigen Übersetzung des Jahrhunderte alten chinesischen Klassikers ins Deutsche gearbeitet. Dafür wurde sie in den Feuilletons begeistert gefeiert und gewann zudem den Preis der Leipziger Buchmesse 2017 in der Kategorie Übersetzung.
„Xiyouji“, so der chinesische Titel des Werkes, ist einer der vier klassischen Romane Chinas – die anderen drei sind „Der Traum der roten Kammer“, „Die Räuber vom Liang-Schan-Moor“ und „Die Drei Reiche“ – und erzählt von vier Pilgern, die sich auf Geheiß des Kaisers auf den Weg in den Westen machen, um Buddha zu huldigen und heilige Schriften zu holen: der fromme Priester Tripitaka und seine Begleiter, Affenkönig Sun Wukong, Eber Bajie und der grässlich anzuschauende Sandmönch. Die drei haben im Himmel Missfallen erregt und müssen sich auf der Erde bewähren.
Pilger Sun ist der eigentliche Held des Romans, wie es in dem sehr informativen und schön gemachten Publikumsprospekt des Reclam-Verlages weiter heißt. Der „Superheld“ beherrscht demnach die Magie sowie sämtliche zweiundsiebzig Verwandlungen und kann in einem einzigen Wolkenüberschlag 108.000 Meilen zurücklegen. Dreist ist er, kühn, übermütig, witzig und listenreich, und dank bester Beziehungen zu den Göttern in Himmel und Hölle, vor allem aber zur Bodhisattva Guanyin und zu Buddha Tathagata, findet er auch dann noch eine Lösung, wenn schon alles verloren scheint.

Foto: Amrei-Marie, Eva Lüdi Kong – Danksagung beim Preis der Leipziger Buchmesse, CC BY-SA 4.0
Das hört sich nach spannenden Abenteuern an. Darum geht es auch. Aber das Werk ist weit mehr. Es kann, wie Lüdi Kong auf China-Kulturvermittlung schreibt, „auf ganz unterschiedlichen Ebenen gelesen werden: als spannende Abenteuergeschichte und Reise durch märchenhafte Welten, als Sammlung mythologischer Erzählungen, als politische Satire, als Reise zu geistiger Erlösung, als Darlegung buddhistischer, daoistischer und konfuzianischer Gedanken und nicht zuletzt als vielseitiges und illustratives Dokument zur traditionellen chinesischen Weltanschauung“.
1320 Seiten, die süchtig machen
Dem westlichen Leser hilft Lüdi Kong mit vielen Kommentaren, den Roman besser zu verstehen und sich gleichzeitig in der chinesischen Philosophie und Kultur leichter zurecht zu finden. Ihre Leistung lobt der bekannte Feuilleton-Journalist Arno Widmann auf Perlentaucher so: „Ich kann die Qualität der Übersetzung nicht beurteilen. Ich weiß nur: Sie säuft sich weg.“ Endlich auch ungekürzt auf Deutsch, schwärmt Widmann. Niemand werde das Buch mit 1320 Seiten ganz lesen, aber darin stöbern sollte jeder. Es mache süchtig.
Die Identität seines Verfassers ist bis heute freilich nicht zufriedenstellend geklärt, berichtet Lüdi Kong. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gelte offiziell der Literat Wu Cheng’en (etwa 1500 bis etwa 1582) aus der Provinz Jiangxi als Autor des Romans, was neuere Forschungen, welche die Autorenschaft eher in daoistischen Kreisen sucht, zunehmend bezweifeln. Die Kontroversen seien nicht zuletzt politisch beeinflusst, da das kommunistische China das auch von Mao Zedong geschätzte Werk nicht in einem religiösen Umfeld positioniert haben wollte.
Ein Stoff für viele Medien
Die „Reise in den Westen“ ist immer wieder verfilmt worden. Auch viele Kinderbücher, Comics, TV-Serien und Computerspiele nehmen den Stoff auf. Die bekannte Manga-Serie „Dragonball“ basiert ebenfalls darauf.
2007 wurde die Oper »Monkey: Journey to the West« in Manchester uraufgeführt.
Lesung in Bonn
Die Medizinische Gesellschaft für Qigong Yangsheng in Bonn hat die Übersetzerin für den 13. Oktober 2017 zu einem Vortrag mit Lesung eingeladen. Dann wird es insbesondere um das Werk als Allegorie der inneren Vervollkommnung gehen. So sind den Romanfiguren symbolträchtige Rollen zugewiesen, und in ihrem Auf- und Abstieg zwischen Himmel und Erde, ihren Kämpfen gegen Räuber und Dämonen, ihrer Pilgerschaft zu Buddha entfaltet sich ein gigantisches Universum des menschlichen Innenlebens.
Übersetzt und kommentiert von
Eva Lüdi Kong
Deutsche Erstausgabe
Hardcover mit Prägung, Lesebändchen.
Format: 16 x 24 cm
1320 Seiten. 100 Holzschnitte
ISBN: 978-3-15-010879-6
Preis 88,00 Euro
Eva Lüdi Kong studierte Sinologie in Zürich, chinesische Kalligrafie und Druckgrafik an der China Academy of Art (BA) und Klassische Chinesische Literatur an der Zhejiang University (MA) in Hangzhou, China. Sie lebte 25 Jahre in China und ist heute tätig als freischaffende Kulturvermittlerin und Übersetzerin.